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Geschichte der Pädagogik an der Universität Zürich

Entwicklungen der Dissertationen im Bereich Pädagogik, Sonderpädagogik und Erziehungswissenschaft an der Universität Zürich 1899 bis 1955

Abstract

Im Rahmen des Projekts „Pädagogik feiert an der Universität Zürich“ anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Gründung des Pädagogischen Instituts an der Universität Zürich wurden die in den Bereichen Pädagogik, Sonderpädagogik und Erziehungswissenschaft eingereichten Dissertationen gesammelt und auf deskriptive Merkmale (Häufigkeit und Geschlecht der Autor/innen) hin ausgewertet. Im folgenden Artikel liegt der Fokus auf denjenigen Arbeiten, die zwischen 1898 und 1955 veröffentlicht worden sind.

Die disziplinäre Entwicklung der Pädagogik lässt sich an verschiedenen Orten an der Universität Zürich feststellen. In den  Vorlesungsverzeichnissen kann beispielsweise nicht nur nachgeschaut werden, welche Inhalte gelehrt wurden, sondern auch wie regelmässig und von wem sie durchgeführt worden sind. Auch in der Denomination einzelner Lehrstühle lässt sich ablesen, worauf der Fokus der wissenschaftlichen Forschungsarbeit der Professor/innen liegen sollte. Die Promotionsordnungen geben weitere Hinweise über die Fachbereiche, in welchen Dissertationen verfasst werden können. Schliesslich zeigen die Dissertationen als Resultate der Forschungsarbeit selber, wie sich die Disziplin entwickelt hat.

Die erste ordentliche Professur für allgemeine bzw. systematische und historische Pädagogik wurde 1946 mit Hans Stettbacher besetzt. Allerdings kann im Fach Pädagogik bereits seit 1892 promoviert werden. Die Zeitmarke 1955 für die Auswertung der Dissertationen folgt aus der Überlegung, dass mit der Einführung des Lizentiats ein Bruch in der bis dahin dauernden Tradition, ein Studium an der Universität Zürich im Normalfall mit einer Promotion abzuschliessen, darstellt. Zudem wurde  mit der Gründung des Pädagogischen Seminars 1956 unter der Leitung von Leo Weber ein erster Institutionalisierungsschritt vollzogen. Daher wird zwischen pädagogischen Dissertationen bis 1955 und ab 1956 unterschieden.

Da sich die Pädagogik als Disziplin bis Mitte der 1950er-Jahre in einem Ausdifferenzierungsprozess mit der Psychologie und Philosophie befand und sich die pädagogische Forschung zudem nicht auf die Philosophische Fakultät I beschränkte, haben die in diesem Artikel ausgewerteten Dissertationen teilweise einen naturwissenschaftlichen oder medizinischen Hintergrund. Gemein ist ihnen jedoch der Fokus auf (sonder-)pädagogische Fragen.

Allgemeine Entwicklung

Abbildung 1: Entwicklung der Anzahl der pädagogischen Dissertationen, eigene Darstellung (Quellen: Hofstetter & Schneuwly 2011, Bildungsdirektion des Kantons Zürich 2018)

Forschungsthemen, und in diesem Kontext auch die Themen der verfassten Dissertationen, sind stark vom jeweiligen Lehrstuhlinhaber abhängig. Da ausschliesslich pädagogische Dissertationen erfasst worden sind, zeigt sich diese Abhängigkeit deutlich. Zwischen 1899 und 1955 wurden insgesamt 214 pädagogische Dissertationen an der Universität Zürich eingereicht. Mehr als die Hälfte (133) davon wurden von Ernst Meumann, Willy Freytag, Gottlob F. Lipps, Hans Stettbacher und Heinrich Hanselmann begutachtet. Bis in die 1930er-Jahre stammen die meisten eingereichten Dissertationen von psychologisch ausgerichteten Lehrstühlen: Um die Jahrhundertwende sind dies zunächst die bei Ernst Meumann Promovierenden. Dessen Lehrauftrag umfasste zwar systematische Philosophie sowie die Geschichte der Philosophie und der allgemeinen Pädagogik, jedoch lag sein wissenschaftlicher Fokus auf der experimentellen Psychologie und Pädagogik, was die thematische Ausrichtung der von ihm begutachteten Dissertationen erklären könnte. Titel der bei Meumann eingereichten Dissertationen sind beispielsweise: „Landerziehungsheime. Darstellung und Kritik einer modernen Reformschule“ (Wilhelm Frei 1902) oder „Experimentelle Untersuchungen über die Hausaufgaben des Schulkindes. Ein Beitrag zur experimentellen Pädagogik“ (Friedrich Schmidt 1904). Mit Gottlob F. Lipps folgte ein weiterer Psychologe, der seine Forschung im Schnittfeld der Disziplinen ansiedelte. Dies wird sichtbar in den Titeln der bei ihm eingereichten Dissertationen: „Versuche über das Lesen mit besonderer Berücksichtigung der Frage des objektiven und subjektiven Lesetypus“ (Robert Büchi 1913),  „Geistige Arbeit und Ermüdung bei Schulkindern“ (Felix Hunger 1916) oder „Der Bildungswert der Mathematik und der mathematische Unterricht“ (Sebastian Gilberto Rios Delgado 1923). Willy Freytag, der 1910 auf den Lehrstuhl für Philosophie mit dem Lehrauftrag zur Philosophie, Geschichte der Philosophie, Logik, Methaphysik [sic!], Erkenntnistheorie und Geschichte der Pädagogik berufen wurde, verliess auf Beginn des Ersten Weltkriegs seinen Lehrstuhl. Der Zürcher Regierungsrat hält in einem Schreiben an das Schweizerische Politische Departement in Bern fest:

„Die Bestellung einer Stellvertretung macht von Semester zu Semester mehr Mühe und bereitet uns auf das kommende Wintersemester erhebliche Verlegenheit. Zu beachten ist ferner, daß - abgesehen von wiederholtem Ausfall der Kollegien - die Abnahme der Abschlußprüfungen erschwert wird, wenn sich der Ordinarius nicht an der Beurteilung der Dissertationen und bei den mündlichen Examina beteiligen kann.“ (StAZH MM 3.29 RRB 25.08.1915)

Ab 1930 folgen mit Heinrich Hanselmann ein Heilpädagoge und mit Hans Stettbacher ein Pädagoge, welche die meisten pädagogischen Dissertationen begutachten und läuten somit aus einer disziplinenspezifischen Perspektive ein Umbruch hin zur Verselbständigung der Pädagogik ein – waren es vorher doch in erster Linie Psychologen, die sich der pädagogischen Themen annahmen und so die Deutungshoheit inne hatten.

Daneben stammen in dieser Zeit einige Dissertationen aus dem medizinischen Bereich (z.B.: „Die Zahnkaries bei Schülern der Stadt Zürich im Jahr 1927/28 unter Berücksichtigung der sozialen Verhältnisse der Eltern“ von Max Reiser 1931).

Dissertationen nach Geschlecht

Abbildung 2: Entwicklung der Geschlechterverteilung der Autor/innen von pädagogischen Dissertationen, eigene Darstellung (Quellen: Hofstetter & Schneuwly 2011, Bildungsdirektion des Kantons Zürich 2018 )

Abbildung 2 zeigt, dass der Frauenanteil verfasster Dissertationen nach und nach grösser wurde. Während um 1900 nur rund jede zehnte Dissertation von einer Frau verfasst wurde, wächst der prozentuale Anteil weiblicher Dissertationen auf knapp 30% an. Die erste von einer Frau verfasste pädagogische Dissertation stammt von Mary-Vance Young aus dem Jahr 1901 mit dem Titel Les enseignements de Robert de Ho dits enseignements Trebor: publiés pour la première fois d'après les manuscrits de Paris et de Cheltenham. Beim Referent handelte es sich um den Sprach- und Literaturwissenschaftler Heinrich Morf. Erstmals haben im Jahr 1944 mehr Frauen eine Dissertation veröffentlicht. Bis die Promotion im Fachbereich Pädagogik allerdings in Frauenhand geht, wird es weitere 50 Jahre dauern.

Literatur- & Quellenverzeichnis

Acklin, Th. (2018). Dissertationen im Bereich Pädagogik, Sonderpädagogik und Erziehungswissenschaft an der Universität Zürich 1899 bis 1955. Zugriff am 14.08.2018 unter http://www.paedagogik-feiert.uzh.ch/de/studiumwissenschaftlichelaufbahnen/si-abschluesse/Dissertationsdatenbank-1899-1955.html

Bildungsdirektion des Kantons Zürich (Hrsg.). Schulblatt Kanton Zürich 1950-1955. Bern: Stämpfli AG.

Hofstetter, R. & Schneuwly, B. (2011). Zur Geschichte der Erziehungswissenschaften in der Schweiz. Vom Ende des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Bern: hep.

Staatsarchiv des Kantons Zürich (StAZH)

MM 3.29 RRB 1915/1903. Regierungsratsbeschluss vom 25.08.1915.

Zentralbibliothek Zürich (2018). Hochschulschriftenkatalog. Zugriff am 24.04.2018 unter https://www.nb.admin.ch/snl/de/home/fachinformationen/e-helvetica/hochschulschriften.html

Autorenschaft:

Thomas Acklin und Caroline Suter

Zeitmarke:

1899