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Geschichte der Pädagogik an der Universität Zürich

Psychotechnisches Institut

Abstract

Das Psychotechnische Institut wurde am 2. Januar 1923 von Jules Suter in Zürich gegründet. Im privatwirtschaftlichen Institut wurden vornehmlich Eignungsprüfungen, Berufsberatungen, Berufseignungsabklärungen und Anlernverfahren durchgeführt. Das Angebot stiess auf Seiten der Arbeitgeberschaft auf grosse Nachfrage und war prägend für die Herausbildung der angewandten Psychologie in der Schweiz.

Das Psychotechnische Institut wurde am 2. Januar 1923 von Jules Suter in Zürich gegründet. Im privatwirtschaftlichen Institut wurden vornehmlich Eignungsprüfungen, Berufsberatungen, Berufseignungsabklärungen und Anlernverfahren durchgeführt; die vormalige, ebenfalls von Suter geleitete Psychotechnische Prüfstelle des kantonalen Jugendamtes, welche dieselben Aufgaben gehabt hatte, wurde ins neu gegründete Institut integriert. Das Angebot stiess auf Seiten der Arbeitgeberschaft auf grosse Nachfrage und war prägend für die Herausbildung der angewandten Psychologie in der Schweiz.

Belegschaft Psychotechnisches InstitutBelegschaft und „zugewandte Orte“ des Psychotechnischen Instituts, vermutlich Anfang der 1930er-Jahre, Suter sitzend 5.v.l. Die späteren Leiter: Carrard sitzend 3.v.l., Biäsch mittlere Reihe 2.v.l. (Rüegsegger 1986, Anhang, o.S.).

 

Der von William Stern geprägte und von Hugo Münsterberg aufgenommene Begriff der Psychotechnik bezeichnete historisch die Anwendung psychologischer Konzepte für die Optimierung verschiedener Lebensbereiche, z.B. von Arbeitsleistung, Personalauswahlverfahren oder Werbung. Dafür kam eine Vielzahl von Apparaten und Versuchsanlagen zum Einsatz, um beispielsweise die Präzision motorischer Abläufe oder die Konzentrationsfähigkeit von Versuchspersonen zu messen. Die Psychotechnik bezog sich vornehmlich auf wirtschaftliche Abläufe und fand in Deutschland nicht zuletzt wegen der Weltkriege Verbreitung: für die Rekrutierung für Spezialtruppen, die Wiedereingliederung Kriegsversehrter und die Auswahl von Fachkräften für den Wiederaufbau. Die Psychotechnik kann als Teilgebiet der angewandten Psychologie und als Vorläuferin der heutigen Arbeitspsychologie betrachtet werden. In der Schweiz war Jules Suter einer der wichtigsten Vertreter. Schon vor der Gründung des Psychotechnischen Instituts hatte er mit arbeitspsychologischen Methoden gearbeitet, beispielsweise bei seinen Studien in der Schuhfabrik Bally und bei der Entwicklung von Intelligenz- und Begabungsprüfungen in einem privaten Forschungslabor in Küsnacht und Zürich. Auch Kinder und Jugendliche hatten dort zu den Versuchspersonen gehört (Biäsch 1960; Rüegsegger 1986; Suter 1949; Wenninger 2000).

Auf Basis dieser Erfahrungen und mit Blick auf neue Zielgruppen konnte Suter das neue Institut in einem Brief an die SBB wie folgt anpreisen: „Wir gestatten uns, Ihnen mitzuteilen, dass im Einvernehmen mit der Behörde unter Leitung des unterzeichneten Dozenten und Assistenten für experimentelle Psychologie an der Universität Zürich ein Psychotechnisches Institut eröffnet worden ist. Es übernimmt die Ausführung von individuellen Intelligenz-, Begabungs- und Berufseignungsprüfungen für Betriebe und Branchen, psychologisch-pädagogische Untersuchungen der Lehr-, Lern- und Arbeitsmethoden, psychotechnische Prüfungen von Arbeitsmitteln, Produkten und Reklamen. Für die Ausführung von Aufträgen werden angemessene Gebühren erhoben. [...] gez. Dr. J. Suter.“ (Psychologischer Dienst der SBB 1966, zitiert nach Rüegsegger 1986, S. 144). Vorerst konnte das Institut zwei Räume im Haus „Schanzenberg“ gegenüber der Kantonsschule beziehen, welche die Behörden möbliert und kostenlos zur Verfügung stellten. Im Gegenzug betrieben die Mitarbeitenden des Instituts Eignungsdiagnostik und erstellten Gutachten für die amtliche Berufsberatung. Die ersten Jahre waren bewegt: Einerseits wuchs das Institut, andererseits zog es aufgrund des wachsenden Platzbedarfs mehrfach um. Noch im Herbst 1923 trat Hanns Spreng ein, es folgten Alfred Carrard, der zweiter Direktor wurde, Albert Ackermann, Paul Silberer und 1928 schliesslich Hans Biäsch. 1927 besetzte das Institut am Hirschengraben 22 bereits zehn Zimmer (Biäsch 1960; Rüegsegger 1986; Suter 1949; ZHAW 2018a).

Hirschengraben 22Hirschengraben 22 (Psychotechnisches Institut) im Jahr 1930 (Anonym 1930).

 

Die Kundenliste von 1923 bis 1927 weist namhafte Unternehmen aus Industrie, Dienstleistung und anderen Branchen auf: SBB-Werkstätte Zürich, BBC Baden, Gebr. Sulzer Winterthur, Städtische Strassenbahnen Zürich und Luzern, Zürcher Stadtpolizei, PTT-Betriebe, Porzellanfabrik Langenthal und Volksbank Zürich, um nur einige zu nennen. Die Anzahl der erstellten Gutachten stieg in den Anfangsjahren des Instituts denn auch rapide an (Rüegsegger 1986).

Eignungs- und Berufsberatungsgutachten im Psychotechnischen Institut Zürich (ohne die direkt in Schulen und Fabriken erstellten Gutachten). Eignungs- und Berufsberatungsgutachten im Psychotechnischen Institut Zürich (ohne die direkt in Schulen und Fabriken erstellten Gutachten). Die Werte stammen aus Rüegsegger 1986, S. 147. Ab 1929 werden die Gutachten nicht mehr nach Auftraggeber unterschieden, für einzelne Jahre fehlen die Belege.
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Die Mitarbeitenden des Psychotechnischen Instituts erstellten „Berufsbilder“, das heisst Anforderungsprofile für bestimmte Berufe. Mittels Fähigkeits- und Intelligenzprüfungen wurde dann die Passung von Berufsanwärterinnen und Berufsanwärtern beurteilt. So waren für eine Weberin hohe Werte in den Kategorien „Bewegungsfeingefühl“ und „Genauigkeit“ gefordert, weniger wichtig waren hingegen „Hörschärfe“ und „Durchsetzungskraft“. Die angewandten Methoden und Prüfverfahren sind in Carrard (1949) und Rüegsegger (1986) beschrieben

PlatiskopPlatiskop“ zur Messung der „Flächensehschärfe“ oder des Augenmasses (Suter Nachlass, zitiert nach Rüegsegger 1986, S. 160). Die Versuchsperson muss eine gegebene Spaltbreite in der Metallplatte mit einem zweiten Schieber möglichst präzise nachbilden (Suter 1922, S. 153–157).

 

Um die angewandte Psychologie und Psychotechnik in der Schweiz zu bündeln, gründeten Suter, Carrard und Edouard Claparède (Technopsychologische Abteilung des Institut Jean-Jacques Rousseau in Genf) am 10. Dezember 1927 in Zürich die Schweizerische Stiftung für Psychotechnik: „Die Stiftung bezweckt die psychotechnische Anwendung, sowie die wissenschaftliche Vertiefung der psychologischen Kenntnisse auf alle Zweige der menschlichen Schulung, Arbeits- und Lebensführung zu fördern und dadurch sowohl den Einzelnen Dienste zu erweisen, wie die Wirtschaftlichkeit im allgemeinen zu heben. Im besonderen bezweckt die Stiftung die Förderung bereits bestehender und neu entstehender Institute, die Förderung der wissenschaftlichen Forschung und der Lehrtätigkeit an den Hochschulen und weiteren in Betracht kommenden Lehranstalten, die Begünstigung entsprechender Ausbildungsmöglichkeiten für Psychotechniker.“ (Stiftungsurkunde 1927, zitiert nach Rüegsegger 1986, S. 244–245). In der Tat wurden in den Folgejahren mehrere Institute gegründet: St. Gallen, Biel, Genf, Lausanne, Luzern und Bern. In der Besetzung des Protektorats der Stiftung bildet sich deren gesellschaftlicher Stellenwert ab: Es lag zunächst beim Präsidenten des Schweizer Schulrates, etwas später übernahm es der Bundesrat. Die Stiftung wurde später umbenannt zu Schweizerische Stiftung für Angewandte Psychologie, am 12. September 1996 wurde sie aufgehoben (NZZ 13. Mai 1977, Rüegsegger 1986, SHAB 1996).

1929 trat Suter von der Leitung des Psychotechnischen Instituts zurück und nahm fortan die Position eines wissenschaftlichen Beraters ein. Alfred Carrard übernahm die Führung allein. Die Gründe für Suters Rückzug liegen im Dunkeln. Rüegsegger (1986) erörtert eine Vielzahl plausibler Gründe: Dass Suter noch weitere Ideen verwirklichen, dass er sich stärker auf seine Laufbahn an der Universität Zürich konzentrieren wollte, dass er neben Carrard nicht bestehen konnte. Mit Suters Rücktritt verlor das Psychotechnische Institut die Verbindung zur Universität Zürich.

Logo des Instituts für Angewandte Psychologie 1935Logo des Instituts für Angewandte Psychologie 1935 (ZHAW 2018a).

 

1935 wurde das Psychotechnische Institut umbenannt in Institut für Angewandte Psychologie (IAP). Dieses bot ab 1937 unter der Leitung von Hans Biäsch eine praktische psychologische Ausbildung ausserhalb der Universität an mit dem Ziel, psychologische Fachleute für berufliche, erzieherische und charakterologische Beratungen sowie ab 1947 mit dem „Vorgesetzten-Seminar“ Führungskräfte auszubilden. Das IAP durchlief in den Folgejahren verschiedene institutionelle Wandlungen und gehört heute als Departement Angewandte Psychologie zur Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Bis heute bietet es Berufs-, Studien- und Laufbahnberatungen für Privatpersonen und Unternehmenskunden an (Rüegsegger 1986; ZHAW 2018a, ZHAW 2018b).

Quellen und Literatur

Anonym. (1930): Hirschengraben 22 (Fotografie). Baugeschichtliches Archiv Zürich. Sammlung online. Zugriff am 12.2.2018 unter http://viewer.e-pics.ethz.ch/BAZ/index2.php?id=BAZ_u0000005_20_7.tiff

Biäsch, H. (1960). Professor Jules Suter. 9. Juni 1882 bis 10. August 1959. In Universität Zürich (Hrsg.), Jahresbericht 1959/60 (S. 84–86). Zürich: Art. Institut Orell Füssli AG.

Carrard, A. (Hrsg.). (1949). Praktische Einführung in Probleme der Arbeitspsychologie. Zürich: Rascher.

NZZ Neue Zürcher Zeitung. (1977, 13. Mai). 50 Jahre Schweizerische Stiftung für Angewandte Psychologie. S. 49.

Rüegsegger, R. (1986). Die Geschichte der Angewandten Psychologie 1900–1940. Ein internationaler Vergleich am Beispiel der Entwicklung in Zürich. Bern, Stuttgart, Toronto: Verlag Hans Huber.

Schweizerisches Handelsamtsblatt. (1996, 16. Dezember). SHAB 1996244/1996.

Suter, J. (1922). Intelligenz- und Begabungsprüfungen. Zürich: Rascher.

Suter, J. (1949). Die Entwicklung der Psychotechnik in der Schweiz. Industrielle Organisation, 9, 246–249.

Wenninger, G. (2000). Lexikon der Psychologie. In fünf Bänden. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.

ZHAW (2018a). Angewandte Psychologie. Über uns. Geschichte. Zugriff am 6.2.2018 unter https://www.zhaw.ch/de/psychologie/ueber-uns/geschichte/

ZHAW (2018b). Angewandte Psychologie. Berufs-, Studien und Laufbahnberatung. Zugriff am 12.2.2018 unter https://www.zhaw.ch/de/psychologie/weiterbildung/detail/kurs/mas-berufs-studien-laufbahnberatung/

Autorenschaft

Judith Mathez

Zeitmarke

02.01.1923