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Geschichte der Pädagogik an der Universität Zürich

Entwicklungen der Dissertationen in den Bereichen Pädagogik, Sonderpädagogik und Erziehungswissenschaft an der Universität Zürich von 1956 bis 2017

Abstract

Im Rahmen des Projekts „Pädagogik feiert an der Universität Zürich“ anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Gründung des Pädagogischen Instituts an der Universität Zürich wurden die in den Bereichen Pädagogik, Sonderpädagogik und Erziehungswissenschaft eingereichten Dissertationen gesammelt und auf deskriptive Merkmale (Häufigkeit und Geschlecht der Autor/innen) hin sowie thematisch ausgewertet. Im folgenden Artikel liegt der Fokus auf denjenigen Arbeiten, die zwischen 1956 und 2017 am Pädagogischen Institut, dem Institut für Sonderpädagogik, dem Institut für Gymnasial- und Berufspädagogik und am Institut für Erziehungswissenschaft veröffentlicht worden sind.

Die disziplinäre Entwicklung der Pädagogik lässt sich an verschiedenen Orten an der Universität Zürich feststellen. In den  Vorlesungsverzeichnissen kann beispielsweise nicht nur nachgeschaut werden, welche Inhalte gelehrt wurden, sondern auch wie regelmässig und von wem sie durchgeführt worden sind. Auch in der Denomination einzelner Lehrstühle lässt sich ablesen, worauf der Fokus der wissenschaftlichen Forschungsarbeit der Professor/innen liegen sollte. Die Promotionsordnungen geben weitere Hinweise über die Fachbereiche, in welchen Dissertationen verfasst werden können. Schliesslich zeigen die Dissertationen als Resultate der Forschungsarbeit selber, wie sich die Disziplin entwickelt hat.

Die Zeitmarke 1956 für den Beginn der Auswertung der Dissertationen in diesem Artikel folgt aus der Überlegung, dass mit der normativen Einführung des Lizentiats ein Bruch in der bis dahin dauernden Tradition, ein Studium an der Universität Zürich im Normalfall mit einer Promotion abzuschliessen, darstellt. Zudem wurde  mit der Gründung des Pädagogischen Seminars 1956 unter der Leitung von Leo Weber ein erster Institutionalisierungsschritt vollzogen. Daher wird zwischen pädagogischen Dissertationen bis 1955 und ab1956 unterschieden.

Im Folgenden wird anhand dreier Schlaglichter Entwicklungen der Dissertationen in den Bereichen Pädagogik, Sonderpädagogik und Erziehungswissenschaft an der Universität Zürich von 1956 bis 2017 nachgezeichnet: Dank der bibliographischen Angaben lassen sich neben allgemeinen Entwicklungen (1) und Verteilung der Geschlechter (2) auch thematische Analysen (3) über die  Verschlagwortung der Arbeiten durchführen.

Allgemeine Entwicklung

Abbildung 1: Entwicklung der Anzahl Lizentiatsarbeiten und Dissertationen in Pädagogik, Sonderpädagogik und Erziehungswissenschaft, eigene Darstellung (Quellen: UAZ AA.21.012; Bildungsdirektion des Kantons Zürich 1956-2006; Zentralbibliothek Zürich 2018)

Obschon in den vergangenen rund 60 Jahren im Lizentiatsstudium sowie beim Promotionsstudium an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich einige Reformen durchgeführt worden sind, steigt die Zahl der Promovierenden bis 2017 im Vergleich mit der Anzahl Lizentiate nur leicht an. Dabei lassen sich ab 1972 die Auswirkungen der neuen Promotionsordnung von 1969 ablesen: Das Lizentiat ist neu Voraussetzung für die Bewerbung zur Promotion und löst diese so als Normalabschluss ab. Der darauf folgende leichte Anstieg an Dissertationen bis Ende der 1980er-Jahre kann einerseits auf die Erweiterungen des Pädagogischen Instituts mit der Berufung von Heinrich Tuggener 1972 auf drei Lehrstühle sowie der Gründung des Sonderpädagogischen Instituts zurückgeführt werden: Gerhard Heese wurde 1974 nach Zürich berufen und begutachtete ab 1976 regelmässig Dissertationen. Andererseits zeigt sich, dass ab 1972 mehr als die Hälfte der Promovierten von Konrad Widmer stammen. Der Tod Widmers 1986 sowie die Neuberufungen von Helmut Fend 1987, Reinhard Fatke 1991 und Kurt Reusser 1993 lösten eine Umbruchphase am Pädagogischen Institut aus. Gleichzeitig befand sich auch das Institut für Sonderpädagogik in einer solchen Phase: 1991 wurde Hans Grissemann und 1993 Gerhard Heese 1993 emeritiert. Ab Mitte der 1990er-Jahre und dann vor allem nach der Jahrtausendwende stieg die Zahl der veröffentlichten Dissertationen wieder: Von den drei genannten Professoren des Pädagogischen Instituts sowie Jürgen Oelkers, der ab 1998 insgesamt über 50 Promovierende betreut hat, und Wilfried Schley wurden die meisten der Arbeiten begutachtet.

Dass nach der Wachstumsphase in den 1970er-Jahren am Institut für Sonderpädagogik und am Pädagogischen Institut nicht mehr Dissertationen veröffentlicht worden sind, wie nach der Erweiterung der beiden Institute Ende der 1980er-Jahren, kann wiederum anhand der verfügbaren Vollzeitäquivalente am Beispiel des Pädagogischen Instituts erklärt werden: Die Vollzeitäquivalente des Mittelbaus bleiben ab Mitte der 1970er-Jahre bis zur Jahrtausendwende konstant bei rund einem Dutzend (vgl. Artikel zum Mittelbau in Entwicklung (1972-1999)) – die Zahl der möglichen Promotionsstellen am Pädagogischen Institut bleibt also gleich. Gleichzeitig werden an der Universität Zürich erst ab 1994 vom Schweizerischen Nationalfonds und über Drittmittel finanzierte Forschungsprojekte durchgeführt, was wiederum  mehr Promotionsstellen ermöglicht (BfS 2017).

In Bezug auf die Nachwuchsförderung zeigt sich, dass jeweils relativ konstant rund die Hälfte der Promovierenden ein Lizentiatsabschluss in Pädagogik oder Sonderpädagogik an der Universität Zürich erlangt hat. Weshalb diese Zahl ab der Jahrtausendwende sinkt, könnte einerseits auf die sinkenden Lizentiatsabschlusszahlen Mitte der 1990er-Jahre zurückzuführen sein oder andererseits auf die neu geschaffenen Stellen in Projekten, die vom Schweizerischen Nationalfonds oder über Drittmittel finanziert worden sind, und besetzt werden mussten.

Dissertationen nach Geschlecht

Während die Zahl der Promovierenden insgesamt leicht zugenommen hat ist, so zeigt sich zudem eine Entwicklung der Geschlechterverteilung.

Abbildung 2: Entwicklung der Geschlechterverteilung anhand der Autor/innen von Dissertationen in den Bereichen Pädagogik, Sonderpädagogik und Erziehungswissenschaft , eigene Darstellung (Quellen: UAZ AA 21.012; UAZ Bildungsdirektion des Kantons Zürich 1956-2006; Zentralbibliothek Zürich 2018)

Bis in die 1980er-Jahre promovierten mehr Männer. Ab 1956 lag der Anteil der Autoren bei 75%, der Anteil der Autorinnen hingegen bei 25% (bei insgesamt acht Dissertationen). Ab den 1970er-Jahren steigt der Anteil an Autorinnen und wächst seither stetig, bis anfangs der 1990er-Jahre erstmals mehr Frauen promovierten. Nach einer schwankend ausgeglichenen Phase bis 2004 ist der Promotionabschluss seither hauptsächlich weiblich: In den 2010er-Jahren werden knapp 86% der Dissertationen von Frauen verfasst, der Anteil der männlichen Autoren liegt bei knapp 14% (bei insgesamt 29 Dissertationen). Diese Verschiebung der Geschlechteranteile zeigt sich bereits bei den Lizentiatsarbeiten – allerdings werden diese bereits seit 1994 mehrheitlich von Frauen verfasst.

Dissertationen und deren Beschreibung anhand ihrer Schlagwörter

Schlagwörter sind Schlüsselbegriffe und werden von der Bibliothek vergeben.  Sie beschreiben das Thema eines Textes und geben so Hinweise, wie sich die thematische Gewichtung in den Bereichen Pädagogik und Sonderpädagogik verändert hat. Für die Analyse der an die Dissertationen vergebenen Schlagworte wurden diejenigen verwendet, die mindestens fünfmal erwähnt wurden. Diese wurden anschliessend nach Publikationsjahrzent gruppiert, woraus sich sechs Häufigkeitstabellen ergaben, die die Schlagwörter der Dissertationen nach Jahrzehnt beschreiben (1950 bis 2000). Somit kann man beobachten, ob Schlagwörter im Verlauf der Jahrzehnte häufiger, seltener oder gar nicht mehr genannt werden. Auch konnte so beobachtet werden, ob es pro Jahrzehnt gewisse Trend-Schlagwörter gibt und welche Schlagwörter über den ganzen Zeitraum am häufigsten genannt wurden.

 

Abbildung 3: Schlagworte der 1950er- und 1960er-Jahre, eigene Darstellung (Quellen: UAZ AA 21.012; UAZ Bildungsdirektion des Kantons Zürich 1956-2006; Zentralbibliothek Zürich 2018)

Die Analyse der Schlagwörter der 1950er-Jahre fällt kürzer aus, da nur knapp zehn Schlagwörter genannt wurden (bei insgesamt acht Dissertationen). Das häufigste Schlagwort ist Kind, gefolgt von Verhaltensstörung und abweichendes Verhalten. In den 1960er-Jahren sind die Begriffe Schule, Kind und Erziehung die häufigsten Schlagwörter. Das Schlagwort Heimerziehung wird einmal genannt.

Abbildung 4: Schlagworte der 1970er- und 1980er-Jahre, eigene Darstellung (Quellen: UAZ AA 21.012; Bildungsdirektion des Kantons Zürich 1956-2006; Zentralbibliothek Zürich 2018)

In den 1970er-Jahren sind die häufigsten Schlagwörter die Begriffe Schweiz, Schule und Heimerziehung. In den 1980er-Jahren sind die am häufigsten genannten Begriffe Schule, Didaktik, Entwicklungspsychologie, Professionalisierung, Sonderpädagogik und Verhaltensstörung.

 

Abbildung 5: Schlagworte der 1990er- und 2000er-Jahre, eigene Darstellung (Quellen: UAZ AA 21.012; Bildungsdirektion des Kantons Zürich 1956-2006; Zentralbibliothek Zürich 2018)

In den 1990er-Jahren werden die Begriffe Pädagogik, Sonderpädagogik und Schweiz am häufigsten genannt. Das Schlagwort Schweiz ist auch in den 2000er-Jahren eines der meistgenannten. Neben Schweiz werden die Begriffe Kind, Lehrerbildung, Pädagogik, abweichendes Verhalten, Jugend, Schule und Sonderpädagogik am häufigsten genannt.

Insgesamt scheint es so, dass das Schlagwort Schweiz durch sämtliche Dekaden am häufigsten auftaucht. Auch die Schlagwörter Schule und Kind werden häufig und durchgehend genannt. Der Begriff Pädagogik taucht mehrfach auf, in verschiedenen Varianten wie etwa Sonderpädagogik, Sozialpädagogik oder nur als Pädagogik. Spezifischere Begriffe, wie etwa Heimerziehung, sind zeitlich genauer datierbar. Das Schlagwort Heimerziehung wird in den Jahrzehnten nach 1970 weniger oft genannt und scheint seinen thematischen Schwerpunkt in den 1970er-Jahren zu haben. Auffallend ist auch, wie stark unterschiedlich die Schlagwörter in den 1970er- und 1980er-Jahren thematisch sind. So beschreibt Herzog (2002) diese zwei Jahrzehnte als wiederkehrende Identitätskrise der Disziplin der Erziehungswissenschaft. Die Themen der Dissertationen sind laut Herzog während dieser Zeit noch stark normativ und noch nicht empirisch geprägt. Der schnelle Wandel der Themen wird von Herzog dadurch erklärt, dass sich die Dissertationen thematisch noch sehr stark an der aktuellen Lehrpraxis orientieren und nicht an einer forschungsorientierten Wissenschaft. Insgesamt kann auch beobachtet werden, dass bei den Schlagwörtern eine gewisse thematische Spezialisierung stattfindet, die von der Allgemeinen Pädagogik hin zu spezialisierten Teildisziplinen führt (vgl. auch Macke 1990). In den 1950er- und 1960er-Jahren werden sehr allgemeine Schlagwörter wie Kind, Erziehung, Schule oder Sonderpädagogik genannt. Ab den 1970er-Jahren werden vermehrt spezialisierte Schlagwörter genannt, wie etwa Bildungssoziologie, Erziehungsziel (1970er), Verhaltensstörung, Professionalisierung und Entwicklungspsychologie (1980er). Der Trend der Spezialisierung geht auch in den 1990er-Jahren und in den späteren Jahrzehnten weiter, mit Schlagwörtern wie Mathematikunterricht, Persönlichkeitsentwicklung, Sekundarstufe I, Fachdidaktik oder Berufsbildung.

 

Literatur- & Quellenverzeichnis

UZH Archiv (UAZ)

AA.21.012 Promotionen Philosophische Fakultät (2006-2014)

Bildungsdirektion des Kantons Zürich (Hrsg.). Schulblatt Kanton Zürich 1956-2006. Bern: Stämpfli AG.

BfS [Bundesamt für Statistik] (2017). Personal der universitären Hochschulen nach Jahr, Finanzquelle, Personalkategorie und Hochschule - in VZÄ. Zugriff am 25.07.2018 unter https://www.bfs.admin.ch/bfs/en/home/statistics/catalogues-databases.assetdetail.px-x-1504040100_107.html

Bildungsdirektion des Kantons Zürich (Hrsg.). Schulblatt Kanton Zürich. Bern: Stämpfli AG. Zugriff am 26.04.2018 unter https://bi.zh.ch/internet/bildungsdirektion/de/aktuell/schulblatt/ueber_das_schulblatt.html#a-content

Herzog, W. (2002). Die Pädagogik als Wissenschaft und als Profession: Von der Identität zur Partnerschaft. In R. Hofstetter & B. Schneuwly (Hrsg.), Erziehungswissenschaften( en) 19.-20. Jahrhundert (S. 267-281). Bern: Peter Lang.

Macke, G. (1990). Disziplinenformierung als Differenzierung und Spezialisierung. Entwicklung der Erziehungswissensschaft unter dem Aspekt der Ausbildung und Differenzierung von Teildisziplinen. Zeitschrift für Pädagogik 36 (1), 51-72.

Zentralbibliothek Zürich (2018). Hochschulschriftenkatalog. Zugriff am 24.04.2018 unter https://www.nb.admin.ch/snl/de/home/fachinformationen/e-helvetica/hochschulschriften.html

Zollinger, L. (2018). Dissertationen im Bereich Pädagogik, Sonderpädagogik und Erziehungswissenschaft an der Universität Zürich von 1956 bis 2017. Zugriff am 14.08.2018 unter http://www.paedagogik-feiert.uzh.ch/de/studiumwissenschaftlichelaufbahnen/si-abschluesse/Dissertationsdatenbank-1956-2017.html

Autorenschaft:

Larissa Zollinger und Caroline Suter

Zeitmarke:

1956